Posten oder nicht posten...
...das ist hier die Frage
Liebes Publikum,
schon mehrfach holten wir Atem um uns zu dieser oder jener Lage der Nation, Vorfall oder Entwicklung im kulturpolitischen oder gesellschaftspolitischen Bereich z.B. auch auf social media zu äußern. Wir verstehen uns schließlich als politisches Theater und da mag es verwundern, dass es in letzter Zeit in dieser Richtung etwas stiller war. Die Gründe sind Euch vielleicht gar nicht so fremd und auch deshalb vielleicht nicht uninteressant.
Da ist zum einen das immer schnellere Aufeinanderfolgen der Ereignisse: über Ampel-Aus, Trump Wahl, immer wieder Bomben in der Ukraine, der Anschlag von Magdeburg, Kulturkürzungen Berlin, Israel und Gaza, die KI als Konkurrenz, Elon Musk, immer wieder die AfD und jetzt noch Mark Zuckerberg... Immer gerade dann, wenn die Ereignisse in uns etwas zur Ruhe kamen - ein zeitlicher Luxus, den wir uns in diesen hyperreaktiven Zeiten gern bewusst nehmen möchten - und eine Meinung oder Haltung hierzu an die Oberfläche trat, die wir auch noch gemeinsam vertreten könnten und öffentlich machen wollten ... just in diesem Moment beherrschte schon die nächste Katastrophe die Netzwerke und unsere Gemüter.
Es scheint, dass wir, wie viele von Euch ebenfalls, gefangen sind in einer Krankheit unserer Zeit. Eine Zeit, die uns aktuell eher am Genick packt, als dass wir die Richtung dieses wilden Gauls noch mitbestimmen: das Pferd geht gerade mit uns durch und wir versuchen, so gut es geht überhaupt im Sattel zu bleiben. Da muss man gar nichts beschönigen. Wer gerade „am Puls der Zeit“ zu bleiben versucht, rast in Überschallgeschwindigkeit durch gesellschaftliche Ereignisse.
Den Dingen in Ruhe nach - zu - denken, wie unsere liebe Hannah Arendt es sich herausnahm, ist scheinbar völlig weltfremd, denn dann rast die Welt eben ohne unseren Senf weiter. Doch statt Senf muss man dann leider braune Soße zum Salat befürchten, den man da hat - und schmecken tut wirklich gar nichts davon.
Zum anderen dreht sich auf den sozialen Medien der Wind, nicht erst seit den neusten Ereignissen bei „X“, ehemals Twitter, oder bei allen Plattformen von „meta“, wie facebook und Co, zu denen auch wir Alternativen suchen.
Es ist kein Geheimnis, dass social media durch die funktionale Struktur an Instinkte von individueller Aufmerksamkeitsgenerierung anknüpft, die aktuell denen in die Hände spielen, die auf Emotion anstatt auf Ratio setzen: den Rechtspopulisten weltweit. In hoch-reaktiven Netzwerken, deren Rechenzentren so schnell schiessen dass gerade noch unsere Amygdala mithalten kann, zählt eben keine fundierte Recherche, keine genaue Statistik, keine wissenschaftlichen Erkenntnisse oder irgendetwas, was länger als 3 Sekunden Hirnkapazität beansprucht. Unsere Emotionen sind einfach schneller als unsere Ratio, das ist ein uralter Evolutionsfakt. Aber wen interessieren heute noch Fakten, damit kann man leider keine Regierung mehr bilden oder die Weltherrschaft an sich reissen. Angst und Wut, Rache und das Gefühl, sich irgendetwas anzuschliessen, Hauptsache man gehört zum Rudel ... all das sind die Melodien, die gerade mit Bravour gespielt werden, eine Kakophonie des Grauens, komponiert von den Vollpfosten dieser Welt. ( Mit wenige Ausnahmen übrigens fast alles sehr reiche, weiße, männliche Vollpfosten. ) Und wir müssen alle Kraft aufwenden, diesen Tanz nicht immer wieder mitzutanzen, um z.B. eben nicht bei jeder Äußerung von Trump, und da gibt es viele und es werden viele folgen, im Achteck zuspringen. Stattdessen sich daran klammern, dass Minus und Minus doch Plus ergeben möge und Trump und Musk sich einfach vor lauter Machtgeilheit gegenseitig selbst erledigen. (Doch aufgrund der neusten Ereignisse kommt ohnehin die Frage hinzu, auf welchem Medium man noch veröffentlichen möchte. Wir arbeiten an Alternativen)
Aber schon beim Niederschreiben dieser Gedanken denken wir - auch das ist Euch alles doch nichts neues. Ihr, die uns teilweise seit vielen Jahren schon begleitet, ihr, die uns neu entdeckt habt. Auch ihr seht es, spürt es alles, auch wenn ihr nicht mit allem unserer Meinung seid, was wir sehr hoffen.
Hier kommen wir zum nächsten Punkt:
Was kann man der Debatte aktuell noch Neues und Wegweisendes hinzufügen? Und ist noch irgendjemand da draussen, der*die noch Kraft hat zuzuhören?
Ein alter wahrer Satz leuchtet durchs pürierte Hirn:
Before you speak, T-H-I-N-K: is it ...
T-rue? ... H-elpfull? ...I-nspiring? ... N-ecessary? ... K-ind?
Wow. Vor allem das letzte Wort – „kind“ = freundlich – wirkt gerade fast wie ein naiver Zuckerguss, ein Gruß der Blumenkinder der 68er, mit dem man den verbalen und echten Panzern und Raketen beikommen will. Und doch atmet es sich gleich hoffnungsvoller bei der Vorstellung, wir würden uns diesen Satz immer und immer wieder zu Herzen nehmen, bevor wir den Mund aufmachen.
Denn etwas „nettes“ kommt da aktuell wirklich selten raus.
Auch hier ja gerade nicht. Mist.
Also?
Der Vater vom vorlauten Häschen Klopfer aus „Bambi“ rät diesem: „wenn du nichts Nettes zu sagen hast, halte lieber den Mund.“ Ja, das ist einerseits ein guter Rat, solange er nicht bedingungslose Zustimmung meint. Aber es ist ja nicht so, als wäre dann Stille im social media Wald. …denn gewinnen die Brüllaffen, die sich überhaupt nix aus dieser Regel oder irgendwelchen Regeln machen.
Doch wie wäre es, wenn Kindness/Freundlichkeit, tatsächlich etwas wäre, an das ich mich klammern darf? Meine Geheimwaffe? Anstatt mich daran abzuarbeiten, mache ich einfach was Freundliches, anderes: Für jeden Arsch, der wieder Hass in den Äther pustet, puste ich Liebe in die Welt, bemühe ich mich um eine Extrafreundlichkeit einem Mitmenschen gegenüber. Für jeden Schwachsinn den ich lese, gebe ich einen Euro in den Hut von dem Obdachlosen. Für jede Dreistigkeit die mir zu Ohren kommt trage ich der Nachbarin die Tüte hoch. Nehme meine Freund*innen extra fest in den Arm. Lächle einmal extra der Kassiererin zu. Lasse den Typ zuerst aus dem Zug weil er es eiliger hat als ich. Giesse die Blumen. Kraule den Kater. Putze das Bad. Gebe fettes Trinkgeld. Reiche eine helfende Hand. Die Welt wäre ruckizucki ein friedlicherer und freundlicherer Ort. Aber man ist ja auch nur ein Mensch, und so regt es manchmal einfach nur auf und raubt sämtlichen Elan. Ein ewiger Kampf diese Tage, oder?
Zum Schluss bleibt auch die Frage nach dem eigenen Leben und Schaffen, was ja auch geschafft sein will. Denn unsere Theaterproduktionen sind letztlich unser Ausdruck, Sprache und Haltung, es sind unsere Versuche als Künstler*innen, etwas zu dieser Zeit und Welt beizutragen. Im übrigen eine im Theater mit Euch präsente, im Ursprung analoge aber vor allem direkt erlebbare, unfakebare, faktenferne, faktennahe, ebenso emotionsnahe, fantasiebeflügelnde, aufreibende, wahrhaftige und saftige Kunstkacke, die unser Beruf ist.
Und die Zeit und Aufmerksamkeit braucht.
Will diese getan werden, muss von uns zwar aufmerksam in die Welt gelauscht, an ihr mit Inbrunst teilgenommen aber auch gleichzeitig Abstand gehalten werden... um dann wieder verwandeln, assoziieren, reflektieren zu können. Weiterzudenken, vorauszuschauen und zu fühlen.
Eine mentale und emotionale Turnübung, die in diesen Zeiten unglaublich herausfordernd ist. Vermutlich aber eine der besten Trainingseinheiten, die man haben kann in diesem Zeiten.
Auch ein Grund, warum an der Kultur nicht gespart werden sollte ... aber damit sind wir dann schon wieder mitten drin im nächsten Thema ... ;-)
18:42 Uhr