Wir verabschieden uns von SPIRIT und schauen zurück
Nun liegt SPIRIT, das erste große Teilprojekt unseres Jahresprojekts I CALL IT WATER, hinter uns und wir kommen nach unserem zweimonatigen Ausflug in die 1200 m² große, staubige Industriehalle in Hainholz (Dank an Olaf Hauschulz, der auch tolle Fotos gemacht hat) nun langsam wieder im Theater an der Glocksee an.
Zehn Stunden lang haben Nina und Jonas mit tatkräftiger Hilfe von Dennis und Romina unser Technikequipment vom Industriestaub der Außenspielstätte befreit, der uns immer noch in allen Poren sitzt. Nach zwei Jahren Coronahygiene war es eine Art Drecktherapie vom Feinsten, die schwarzen Ränder unserer Duschen bezeugen das gern.
Kurz bevor Lena, nach einem Monat intensiver Recherche am HWK Delmenhorst, im März 2022 mit einer dreitägigen gemeinsamen Tagung das Jahresprojekt zum Thema Wasser eröffnete, begann der bis heute andauernde Angriffskrieg Putins auf die Ukraine. Auch von Kolleg*innen anderer Häuser und Gruppen haben wir gehört, wie uns allen unter diesen Umständen jegliche geplanten Theaterprojekte plötzlich völlig absurd und sinnfrei vorkamen. Erschöpft und mit Augenringen reihum, begannen wir dann also die Proben. Krieg und Krise durchtränkten schon früh unsere Beschäftigung mit dem Thema Wasser und forderten vehement Raum.
Aus den zwei Jahren Pandemie, die uns und unserem Team aufgrund eines erfolgreichen Durcharbeitens sehr viel abverlangt hatten, kamen wir ohnehin alle mit ganz schön zerzaustem Fell (innen und außen) wieder zum Arbeiten zusammen und wagten uns nicht nur in eine große Halle und an ein großes Thema, sondern auch in große Leerstellen und Fragezeichen, wie wir in dieser schon wieder anderen Zeit erzählen und Theater machen können. Und über was.
Abgesehen vom Krieg, den wir Menschen untereinander führen, wird auch die die Kaputtheit des natürlichen Gleichgewichts des Planeten in den kommenden Jahren mehr und mehr ins Bewusstsein rücken und ihren Platz auf den Bühnen einfordern – da wir vor den Auswirkungen auch in diesen Breitengeraden die Augen nicht mehr verschliessen können. (siehe dazu auch Lenas Artikel in der Deutschen Bühne, Februar 2022: PDF)
So wurde auch die Industriehalle als Spielort ein Sinnbild des Anthropozäns, in dem das Wasser erstmal in seiner Abwesenheit erkannt werden konnte: Leere Wasserkisten ohne Flaschen, alte Regenrinnen, ein leeres Aquarium – alles Gefäße für ein Element, dessen Erscheinen durch den Klimawandel unberechenbar geworden ist. Ihr musstet es mitbringen, das flüssige Wasser, welches wir hin und her trugen und in Bewegung hielten, wie es bisher die Natur für uns machte.
Ausgehend von den Geschichten der Performer*innen entstand eine Audiofläche zum Thema Wasser, der Ihr währenddessen lauschen konntet und die Ihr jetzt auch als Hörbuch nachhören könnt.
Der Titel SPIRIT steht für den gemeinsamen Geist und für gemeinsamen Mut, den wir brauchen werden in den Zeiten, die da kommen. Zeiten, die man vielleicht lieber im Schutz eines dicken Eispanzers überdauern würde (wie in der Iglukathedrale aus Wasserkisten zu lesen war). Ein unsinkbares Segelschulboot, ein »Optimist«, legten wir aufs Trockene, damit es während der Vorstellung vom Publikum zusammen aus der Schieflage geholt werden konnte – ein ewiges Abschöpfen und Zugiessen hielt ihn in schwankender, fragiler Bewegung. Aus Schrott, leeren Wasserkisten, vergoldeten Plastikrinnen und Restwasser bauten wir ein Konstrukt gleich einem unsinnigen, weil nicht zielgerichteten Aquädukt, in dem das Wasser überall aufgefangen und weitergetragen werden musste. Ein löchriges System, das im Gegensatz zum natürlichen Kreislauf nur noch künstlich am Leben gehalten werden konnte. Doch stand man an einem ganz bestimmten Punkt oben auf der Empore in der Halle, erkannte man, dass dieses Konstrukt die Worte »weine nicht« formte. Dort oben wurde von Lotte Lindner und Till Steinbrenner aus Rotwein das reine Wasser zurückdestilliert – die Wertung dieser biblischen Sinnbilder quasi auf den Kopf gestellt (nicht umsonst gab es bei Ihnen vor der Vorstellung nur Wasser, Brot und Rotwein an der Bar). Die klebrigen, blutgleichen Reste dieser chemisch-physikalischen Auflösungsarbeit zierten Eure Stirn, bevor Ihr gleich dem Wasser der Schwerkraft folgend über eine Rutsche die Empore wieder verlassen konntet.
Da sitzen wir dann im Kreis, um einen Geysir aus alten Wasserkisten mit Dampf, und je nach Interpretation sehen wir aus wie ein Stamm mit Kriegsbemalung, haben das »dritte Auge« oder auch einen brutalen Kopfschuss ... auf jeden Fall haben wir, die wir gezeichnet sind, schon etwas gesehen, das nur durch einen Perspektivwechsel möglich war. Haben kurz gesehen, wofür sich alle da unten abmühen und keine Ahnung haben. Sich langweilen, warten, lauschen, gießen, leben, sich fragen, sich ärgern, sich freuen. Heute tun sie es, um diesen kleinen Trost, das »weine nicht«, lebendig zu halten.
Ein klitzekleiner und wunderschöner Wesenszug von uns Menschen, die wir uns halten können, trösten, teilen und ermutigen. Sollten wir vielleicht doch in der Lage sein, unseren eigenen Dreck, das Chaos und die Zerstörung zu verwandeln – zur Abwechslung mal mit dem, was uns Menschen im Positiven ausmacht?
Danke für die kleinen Momente mit Euch, in denen wir zusammen etwas haben fließen lassen.
Mit Christiane, die Seglerin an der Treppe.
Andrea, die Euch an der Rutsche empfing.
Kiri, die den Dampf und die Technik pflegte.
Britta am Wasserbecken mit Fotos ihrer Kindheit am See.
Romina, Jonas, Johannes, Dennis, Kassandra und Nina, die Euch beim Giessen begleiteten.
Lotte und Till an der Destille auf der Empore.
An Aryani und ihre Kinder beim balinesischen Wasserritual.
Und nicht zuletzt Anna und Alissa an der Bar und Kasse.
Vor der Vorstellung ergab sich eine Tradition, in der wir die von Euch gefalteten Botschaften auf Papierbooten, was Ihr dem »Optimist« mit auf die Reise gebt, sorgfältig wieder auseinander falteten und die anonymen Briefe, Listen und Aufmunterungen lasen, die nicht weniger taten, als uns wiederum Trost zu spenden, wenn wir ihn brauchten. Zwei dicke Ordner voll davon warten nun auf eine Fortsetzung… :)
Mit dem Jahreswasserprojekt geht es jedenfalls weiter: Bei uns im Foyer mit den täglich gesammelten Wasserproben aus der Ihme und auf der Bühne schon bald mit dem Gastspiel HOPE SPOT OCEAN unserer lieben Kolleg*in Ronja Donath.
Und auch andere Themen als das Wasser werden sich bei uns demnächst noch abspielen …
Wir bauen nun demnächst seit zwei Jahren erstmalig unsere Tribüne (in kleinerer Form) wieder für Euch auf und freuen uns, Euch bald in unserem renovierten Theater und zu diversen, bunten Veranstaltungen zurückbegrüßen zu können, wenn Ihr mögt!
Wir bedanken uns von Herzen bei unserem ganzen Team und senden beste Grüße an Euch da draußen sowie natürlich:
Immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel!
PDF Being Water (Lena Kußmann)