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Über den Mephisto

von Lena

Der Mephisto, das ist das teuflisch Verführerische, das uns vom Pfad der Vernunft in eine gute Zukunft abbringt und uns dabei ins Unglück stürzt. In Goethes Klassiker „Faust“ setzt der gleichnamige Teufel dabei auf klassische Mittel wie eine zünftige Party mit sehr viel Alkohol und dreckigen Witzen und eingängiger Musik (Auerbachs Keller), eine Orgie (Walpurgisnacht) und natürlich die schnell entflammbare Liebe bzw. das Begehren eines Mannes in der Midlife-Crisis zu einem Teenager (Gretchen). Hinfort mit trüben Gedanken, hinfort mit Fakten und Wissen und hin zu Emotionen und Körper! Was nützt uns denn das ganze Wissen der Welt, diese ganze Vorsicht und Achtsamkeit, dieses Abwägen, diese ellenlangen Diskussionen? Herr Faust hat alles studiert und ist trotzdem depressiv. Er weiß alles und sieht trotzdem oder gerade deswegen keinen Ausweg mehr. Da kommt der Mephisto gerade recht. Und raus geht’s aus dem Studierzimmer, das hält uns nur vom Leben ab! Nein, wir müssen uns wieder spüren, saufen, prügeln, ficken, anschreien, schwitzen, berauschen und uns selbst vergessen … Doch das böse Erwachen ist dabei nahezu vorherbestimmt, oder?
Weg mit Wissenschaft und Statistiken und hin zu Schlagworten, Gossip, Empörung, Aufheizen – dieser rechtspopulistische Geniestreich kommt uns doch irgendwie bekannt vor? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt … Der teuflische Vergleich soll hier jedoch nicht allein gezogen werden, denn der Mephisto kann und ist viel mehr als das, und wir geben ihn auch nicht so einfach her, das wäre ja noch schöner. Ja, da gibt es die plumpe Verführung. Aber es gibt auch den feinen Spaß, die Lust am Chaos, den Joker und den Narren, der in ihm wohnt und welcher sich unaufhaltsam und unzerstörbar widersetzt und nervt. Der „Geist, der stets verneint“, kommt auch nicht ohne Grund in diesen Zeiten noch einmal bei uns vorbei und drückt uns mit der Nase in die mit Shit gefluteten Zonen: Er zeigt uns unsere Schwachstellen. Das ist im Übrigen etwas, was freie Kunst in Demokratien auszeichnet: Im Gegensatz zu Kunst in faschistischen Systemen, welche einzig und allein auf die Verherrlichung und Stärkung der aktuellen Macht ausgerichtet ist, versucht die freie Kunst in Demokratien (und überall dort, wo sie es kann), immer wieder selbstkritisch mit sich und den sie umgebenden Systemen umzugehen. So geht auch „Mephisto. Under Pressure.“ mit der eigenen Bubble und der eigenen Zunft der Kulturschaffenden hinsichtlich ihres ach-so-oft-betonten „Underdogs“-Gedanken hart ins Gericht und wird auf einige Füße treten. Vor allem ist es aber eine Liebeserklärung: an den Schalk und die Bühne als zu verteidigenden Ort des zivilen Ungehorsams. An den Mut, das eigene Zögern und Zagen öffentlich zu machen. An die Schönheit der Unperfektion der Menschen im Angesicht des Schreckens und die Dreistigkeit des Spaßes. An den Drang, sich das Spiel niemals und unter keinen Umständen verderben zu lassen.
