Wie geht Theater mit Pflanzen, Lena?
Ich denke, dass diese Frage einem grundsätzlichen Bild von Theater entspringt. Dieses Bild ist ein klassisch-traditionelles, in dem der Mensch anderen Menschen dabei zusieht, wie sie sich unter Zuhilfenahme verschiedenster Mittel mit verschiedensten Themen, welche uns Menschen betreffen, auseinandersetzen. Die narrative, also (mit Worten) erzählerische Methode ist dabei oft am präsentesten in unseren Köpfen. Eine Geschichte wird dort auf der Bühne erlebt und von den Zusehenden mitgefühlt, miterlebt. Manchmal gelingt eine gewisse Form von Selbsterkennung, Reflexion, Identifikation in den Köpfen der Zusehenden, im Herzen oder anderen Bestandteilen der Seele, die mit dem Menschsein an sich zu tun haben. Wir denken vielleicht über unsere persönliche Situation nach oder sind angeregt, über gesellschaftliche Aspekte nachzusinnen. Oder wir denken nicht, sondern sind an anderen inneren Orten bewegt, und es arbeitet in uns unterbewusst weiter. Wir lachen oder weinen, weil wir etwas von uns dort auf der Bühne wiedererkennen. Die Spieler*innen dort erleben stellvertretend für uns Freude, Spannung, Schmerzen, Wahn, und wir profitieren davon, wir lernen, sind sicher, sind unterhalten, dürfen Menschen unter Menschen sein.
All diese theatralen Prozesse haben mit uns als sozialem Wesen, als Mensch unter Menschen zu tun.
Doch wie sieht es mit Prozessen aus, die sich um uns als Lebewesen unter anderen Lebewesen drehen? Und wie soll das aussehen?
Von Pflanzen vermutet man erst mal nicht, dass sie uns eine Geschichte erzählen werden. Und vor allem nicht, dass diese für uns interessant sein könnte - denn wo sollten wir uns hier selbst erkennen? Wie sollen wir sie überhaupt verstehen, ohne dass sie uns erzählt, getanzt und bebildert wird?
Nicht nur, aber auch durch die Situation des sich durch unser Verhalten verändernden Klimas auf unserem Heimatplaneten sowie natürlich auch der aktuellen Pandemie sind wir wieder gefordert zu erkennen, was sogenannte Naturvölker an Wissen bewahren - dass wir bei weitem nicht die Krone (lateinisch „corona“) der Schöpfung sind, sondern lediglich ein Teil von etwas.
Ein klitzekleiner Teil, der – gemessen an den gewaltigen Maßstäben der Evolution, für einen geradezu lächerlich kurzen Zeitraum auf diesem Planeten weilt:
460.000.000 Jahre gibt es die Pflanzen auf der Erde.
Seit 300.000 Jahren den Homo Sapiens.
0,07% der gesamten Zeitspanne, die die Pflanzen auf der Erde leben, leben wir gemeinsam mit ihnen hier.
Es scheint mir an der Zeit, dass wir uns auch in der Welt des Theaters andere Protagonisten suchen als uns selbst, um von ihnen zu lernen. Wir haben ein Zeitalter des Menschen geformt, das Anthropozän, in dem wir uns selbst überholen und als Referenz stets uns selbst heranziehen. Unser ewig selbst gelobtes Gehirn ist vielleicht eine Form von Intelligenz, das heißt aber noch lange nicht, dass es auch geeignet ist, uns dabei zu helfen, langfristig auf diesem Planeten zu existieren. (Hier ein Interview mit Stefano Mancuso dazu.)
Wir können also weiter wüten und eine Wüste hinterlassen und hoffen, dass wir dann vielleicht eine Möglichkeit finden werden, den Planeten zu verlassen und uns neue Welten zu suchen. Oder wir können uns dem Planeten, auf dem wir entstanden sind und nun leben, der uns hervorgebracht hat, widmen und versuchen, ihn nicht mehr nur als ausbeutbare Ressource zu betrachten. Das Projekt ist aber nicht nur aufgrund des nötigen Handelns in Bezug auf das Klima entstanden, sondern auch, um die Grenzen des Menschseins und Menschenmöglichen an Empathie, an Vorstellungsvermögen auszuloten und wenn möglich zu erweitern.
Um Neues zu lernen brauchen wir neue Lehrmeister*innen, neue Vorbilder. Wir haben uns für einige der Ältesten und Beständigsten entschieden. Für Lebewesen, die seit Jahrmillionen hier leben und diesen Planeten für uns erst bewohnbar machten. Für Meister*innen in speziesübergreifender interdisziplinärer Zusammenarbeit und Nachhaltigkeit. Die Pflanzen.
Da sie vollkommen anders funktionieren als wir, braucht es natürlich auch eine Suche nach anderen Formen von darstellender Kunst. Wir haben unser Projekt über die Pflanzen, Plantkingdom. Fremde Welten., auch aus dem Grunde in 10 Teilprojekte gesplittet, weil sowohl die Herangehensweise als auch die inhaltlichen Möglichkeiten eines so großes Themas für mich unmöglich in ein einziges Theaterstück zu zwängen sind. Die Perspektiven müssen unterschiedlichste sein und sich wieder miteinander verbinden können. Wir wollen so viel Spiel-Raum zum Austausch wie möglich - so wie die Blätter eines Baumes seine Oberfläche maximal vergrößern um den Austausch der Elemente zu ermöglichen. Für unsere künstlerischen Zugänge haben wir uns mit dem Wesen der Pflanzen an sich befasst und Fachwissen, aktuelle Forschungsstände, aber auch Mythen und Legenden zu Rate gezogen. Wir haben auch versucht, uns so gut es geht in eine Pflanze hineinzuversetzen und die Parameter eines Lebens an nur einem einzigen Ort nachzuvollziehen. Wir untersuchen sie mit unserem künstlerischen Auge, wir luchsen ihnen Geräusche und Töne ab, die für uns wahrnehmbar sind, wir lassen uns von ihrer Langsamkeit und ihrem Alter inspirieren, von ihrer Langmut, ihrer Ausdauer, ihrer Hingabe an den Ort und die Welt, in der sie leben. Für unser Publikum erfinden wir Erlebnisse, Bilder und Erfahrungsräume, die sich in Form von Paraden, Konzerten, Audiowalks, Graffitis, Soziokultur und 1:1 Performances fast ausschließlich jenseits des klassischen Theaterbetriebes und eines Zuschauersaals abspielen. Das hat sich so ergeben und ist vermutlich den Protagonistinnen, den Pflanzen, geschuldet. Wer sich also vorstellt, dass wir als Kaktus, Eiche und Gänseblümchen verkleidet auf der Bühne stehen, also die Pflanzen einer Vermenschlichung unterziehen, liegt größtenteils falsch. Eine Form von Vermenschlichung kann naturgemäß nicht ausbleiben, da der Mensch immer versucht, etwas für ihn Erkennbares, Menschliches zu finden („Guck mal, die Rinde da sieht aus wie ein Gesicht!“, „So ein Mauerblümchen/Mimose/Zankapfel!“).
Viel mehr aber versuchen wir uns an der Pionierarbeit, erst einmal einen Zugang zu diesen Wesen zu ermöglichen, die vielen immer noch nicht als Mitbewohner*innen, sogar eigentlich Vermieter*innen dieses Planeten präsent sind, sondern als Ding. Dabei wären wir und alles aerobe Leben schlichtweg nicht hier ohne sie und ihr Wirken an Boden und Atmosphäre.
Wir erfinden Bilder für unsere Abhängigkeit von ihnen ("No Border Plants"). Wir stellen uns in ihren Dienst und assistieren bei der erneuten Machtübernahme ("Plantoon"). Wir geben euch Zeit und Raum, einer von ihnen zu begegnen und eine Erfahrung zu machen ("Connection"). Wir versuchen, von ihrem generationsübergreifendem ewigen Leben zu lernen ("Baum.Kolonie")....
Der Mensch ist ein Wesen, das sich selbst erkennen will und unermüdlich auf der Suche ist nach den kleinen und großen Dingen, die ihm das Rätsel seines Daseins ergründen mögen. Wir treten einen Schritt zurück und betrachten letztlich uns selbst dort auf der Bühne. Diesen Abstand vergrößern wir mit Plantkingdom noch einmal- auf der Suche nach Verbindung. Um uns nicht nur als Mensch unter Menschen, sondern als Mensch unter vielen Lebewesen wahrnehmen zu können - wir erweitern unsere Perspektive und beginnen eine speziesübergreifende Arbeit in der Hoffnung auf erneuerte und erweiterte Erkenntnis.
Lena Kußmann ist Schauspielerin und Regisseurin und aktuell künstlerische Leitung des freien Theaters an der Glocksee in Hannover. In 2020 leitet sie dort auch das Jahresprojekt PLANTKINGDOM.FREMDE WELTEN.
16:35 Uhr