Waisen
von Dennis Kelly
Dannys und Helens romantisches Abendessen wird jäh unterbrochen, als Helens Bruder Liam blutüberströmt ins Zimmer platzt. Nicht sein Blut, sagt er. Auf der Straße sei ein Junge niedergestochen worden, er habe ihm bloß geholfen. Danny will die Polizei rufen, doch Helen hindert ihn daran: Ihr Bruder ist vorbestraft – besser keine Aufmerksamkeit erregen. Danny lässt sich überreden, seinen Schwager zu schützen und ahnt nicht, in welch fatales Geflecht aus Halbwahrheiten, Lügen und Liebe er sich damit verstrickt...
Welchen Preis sind wir bereit für unsere eigene Sicherheit zu zahlen? Anhand der kleinsten Zelle unserer Gesellschaft, der Familie, erkundet »Waisen« die Ängste und Loyalitäten, die uns dazu bringen, zu tun, was wir nicht tun sollten. Ein Lehrstück über die Angst vor dem Fremden - dort draußen und in sich selbst.
»Es gibt ein Gefühl in der Gesellschaft, dass wir alle Waisen sind. Wir trauen niemanden mehr, weder den Politikern, den Journalisten, noch nicht einmal mehr den Theatermachern. Es herrscht ein Gefühl des Verlassenseins. Mama und Papa sind verschwunden.« - Dennis Kelly
Termine
Premiere am 16. April 2014
Ensemble Lena Kußmann, Felix Lohrengel, Jonas Vietzke.
Regie Brit Bartkowiak.
Bühne & Kostüm Carolin Schogs.
Licht Alexander Tripitsis.
Presse
»Das Stück haut passgenau in die Realität dieses Off-Theaters, das zwischen drei Stadtteilen mit großen sozialen Gegensätzen liegt. (…) Der Theaterabend fächert sich als Sozialdrama auf, ist fast schon anachronistisch in seinem psychologischen Spiel und trifft die Stärke von Kellys Text doch ganz genau: Das Straucheln des Mittelstandes im globalen Zeitalter, seine Abstiegssorgen, Abgrenzungsbemühungen und die Angst vor dem schwarzen Mann des 21. Jahrhunderts: dem Terrorismus. (…) Regisseurin Bartkowiak vertraut auf die Leistung der Schauspieler und die Nähe, die sie mit wenigen Gesten erzeugen können. Langsam zoomt sie in die Seelenflächen der Protagonisten, holt das Grauen heran, lässt es sich im Raum ausbreiten. (…) Felix Lohrengels Danny beginnt, seine moralische Skepsis im kühlen Sarkasmus zu begraben. Und Lena Kußmann lässt Helens Sorge um den Bruder grausam pragmatisch enden. Wie eine verhärmte Puppe bewegt sie sich da durch den Raum, auf Autopilot geschaltet. Jonas Vietzke gibt Liam, dem verlorenen Jungen mit Außenseiter-Abo, eine flirrende, innere Hetze. Während ihm die Schuld aus allen Poren dringt, ringt er um Fassung. Dann steht er mit verschränkten Armen auf hell erleuchteten Europaletten – der Abgrund überstrahlt ihn fast – und schmeißt Sprachfetzen in den Raum: "Ich bin nicht ...", Ich bin kein ...". (…) Vieles wollen diese Figuren nicht sein. Kein Täter. Kein Feigling. Keine miese, verantwortungslose Schwester. Keine moralischen Waisen. Der freie Wille – er hat viele düstere Ecken.«
nachtkritik.de, Stephanie Drees, 17. April 2014
»Das Stück ist konsequent auf Spannung angelegt, und diese treibt Kelly ständig voran. Bei der Inszenierung in der Glocksee wird dies durch Carolin Schogs’ Bühnenbild noch gesteigert. (…) Die Schauspieler kommen dem Publikum nahe, und wenn die vergifteten Dialogpfeile fliegen, duckt man sich (innerlich) fast. Der Erfolg dieser Inszenierung liegt natürlich auch an der Leistung der Schauspieler. Da ist Jonas Vietzke als Liam, eine Mischung aus Monster und Wrack, gleichsam aggressiv wie in Selbstmitleid ertrinkend. Da ist Felix Lohrengel als Danny, der vergebens gegen das Zerbrechen seiner bürgerlichen Ehrbarkeit ankämpft und dabei innerlich niedergeht. Und da ist Lena Kußmann als Helen zwischen den beiden Männern, die dabei zerrieben wird, wie schon ihre hilflosen Einwürfe zeigen. Alle drei spielen mit einer Intensität, der man sich nicht entziehen kann.«
Hannoversche Allgemeine Zeitung, Ekkehard Böhm, 19.04.2014